Der Stand der Dinge #4

Für Dirk und seine Dallas Mavericks hat die Rekordsaison begonnen: 21 Jahre für ein NBA-Team, das hat es in der Geschichte des Basketballs noch nie gegeben. FORTYONE hat Dirk kurz vor Saisonstart in Shanghai getroffen und mit ihm über China, seine Gesundheit und die kommende Saison gesprochen (17.10.18).

FORTYONE: Dirk, wie geht’s dir? Hast du die Reise nach China gut weggesteckt? Es ist ja ein ganz schöner Ritt hierher.

DIRK: Ich bin schon einigermaßen im Rhythmus. Ich bin um halb elf ins Bett und heute früh um halb sechs, sechs aufgestanden. Jetzt ist wahnsinnig viel los. Wenn ich jetzt schon spielen würde, hätte ich die Tage hier nicht so vollgepackt mit Terminen.

In Amerika sind die Zeitzonen kein Problem, oder? Du schläfst einfach im Flugzeug.

In unserem Flugzeug sind die Sitze schon lang genug. Aber nach den Spielen schlafe ich eigentlich nie im Flieger. Ich bin ein komischer Schläfer, und wenn ich unterwegs im Flugzeug schlafe und danach in mein Hotelzimmer komme, bin ich so wach, dass ich stundenlang nicht mehr einschlafen kann, eine Stunde, anderthalb Stunden. Deswegen habe ich mir in meinem ersten oder zweiten Jahr in der NBA angewöhnt, nicht im Flugzeug zu schlafen: Im Flieger – egal, wie müde du bist – kämpfst du dich durch. Früher haben wir diese langen Flüge von der Westküste immer nachts gemacht. Aber damit haben wir jetzt aufgehört. Wir schlafen jetzt noch eine Nacht im Hotel und fliegen erst am nächsten Morgen.

Freust du dich darauf, dass dieser Reisestress irgendwann einmal vorbei sein wird? Dass du deinen Schlaf nicht mehr nach dem Spielplan ausrichten musst?

Ich glaube schon, dass das super wird. Ich gehe aber davon aus, dass wir nächsten Sommer auch ein paar Monate mit der Familie unterwegs sein werden. Da fliegen wir ja auch, aber natürlich ist das nicht vorbestimmt. Aber wenn dann der September kommt, und das Trainingscamp losgeht … Das könnte seltsam werden. Ich gehe davon aus, aber ich halte mir das Ende natürlich immer ein bisschen offen. Das habe ich immer gemacht.

Gestern Abend, als du draußen vor dem Hotel Autogramme gegeben hast, sind die Leute völlig ausgerastet. In der Lobby standen deine Teammates herum und mussten warten. Einer sagte: »Ja, Dirk ist eindeutig unser wichtigster Mann.« Wusstest Du, dass die Leute in China so reagieren würden?

Wahnsinn, wie viele Basketballverrückte es hier gibt. Ich war jetzt zehn Jahre nicht mehr hier, aber beim letzten Mal war es auch schon so ähnlich. Hier wohnen 1,3 Milliarden Menschen und über 300 Millionen von denen spielen Basketball. 300 Millionen Einwohner haben die USA, und so viele spielen in China allein Basketball. Die Leute sind einfach extrem basketballbegeistert. Was für uns natürlich toll ist. Wie sich die Liga entwickelt hat, wie sie wirtschaftlich dasteht, das haben wir auch dem chinesischen Markt zu verdanken. Deswegen finden ja hier auch in jeder Pre-Season Spiele statt. Man ahnt diese Begeisterung, aber wenn man sie dann vor Ort erlebt, ist es schon Wahnsinn. Gestern zum Beispiel: Ich dachte, wir gehen zu einem Tempel und sehen uns den an. Ich wusste nicht, dass wir dazu eine Runde durch die Altstadt und über den Markt laufen müssen – das hätte ich eigentlich nicht unbedingt für eine gute Idee gehalten. Und dann war der Tempel auch noch zu und wir mussten wieder zurück. Aber es ist schön, dass man Leute noch so begeistern kann. Ich fand es dann natürlich auch sehr witzig, dass wir da herumgerannt sind. Da war viel los.

Smartphones raus! © Tobias Zielony

Hast du dich über die Jahre an eine solche Begeisterung gewöhnt? Oder denkst du manchmal noch »Meine Güte, die schreien jetzt wegen mir«?

Ja, aber hier ist das noch einmal multipliziert mit hundert. Klar werde ich mal erkannt, oder mein Name wird gerufen, aber hier … auch vorhin unten vor dem Hotel: Dass die sich da fast erdrücken an den Absperrungen, das ist auch für mich eine besondere Erfahrung.

Ist das schön oder findest du das eher bizarr?

Klar ist das viel, aber es ist vor allem schön, dass es auf der Welt Leute gibt, die einen so akzeptieren oder respektieren, dass sie für ein kleines Autogramm Schlange stehen. Natürlich ist das außergewöhnlich, und es ist auch schön zu wissen, dass sie schätzen, was ich in meiner Karriere erreicht habe. Das ist eine schöne Sache für mich.

Kannst du dir erklären, warum das so ist? Die meisten stehen wegen dir da – obwohl in diesen Tagen Dallas gegen Philadelphia spielt. Zwei komplette Mannschaften. Kannst du dir das erklären?

Gestern habe ich schon auch einige Philly-Trikots gesehen, aber klar: Ich spiele jetzt schon mehr als zwanzig Jahre. Bei den Olympischen Spielen vor zehn Jahren war ich schon hier. Die Meisterschaft hat mit Sicherheit geholfen. Mein MVP-Jahr, dann war ich Finals-MVP. Das rufen sie ja, wenn wir aus dem Bus steigen: »M-V-P!«

Wie war denn der Tempelbesuch heute morgen? Der zweite Versuch.

Super. Ich hatte so etwas noch nie gesehen. In Peking war 2008 viel zu wenig Zeit, deshalb wollte ich das auf diesem Trip unbedingt machen. Die Idee kam mir, als wir vom Flughafen in die Stadt fuhren, da lag rechts vom Highway ein Riesentempel, der hell erleuchtet war. So etwas wollte ich mir unbedingt mal ansehen, aber ich wusste ja, dass der Zeitplan hier absolut vollgepackt ist. Also sind wir heute morgen in der Dämmerung los. Ich habe natürlich nicht gedacht, dass uns da Mönche herumführen und wir noch Tee zusammen trinken.

Was hat dir denn der Mönch erzählt?

Eine Menge. Historisches, von der Gründung 1882 und dem Neubau des Tempels 1928. Er hatte viele Geschichten zu erzählen. Über das Essen – viele Buddhisten sind Vegetarier, also haben sie hier ein Restaurant aufgemacht. Und er hat mir die Buddhas erklärt: In jedem Raum gibt es einen anderen. Einer steht für langes Leben, einer für Frieden. Er hat erzählt, dass sie schon früh um halb sechs beten und dann eine Stunde lang ihre Chants singen. Es gibt hier ein College. Und auf dem Platz in der Mitte des Tempels spielen die Mönche manchmal sogar Basketball, hat er erzählt, abends rollen sie ein paar Körbe auf den Platz. Der Mönch selbst war früher selbst Basketballer. Wahnsinn. Auch die Teezeremonie war sehr faszinierend. Erst machen sie die Tassen warm, dann kommt der Tee rein. Dann wird der Tee gewaschen. Tausend kleine Schritte. Ich denke, okay, jetzt gibt’s Tee, aber dann schüttet die Dame den Tee weg und es kommt die zweite Runde. Und erst dann trinkt man. Ich wollte so einen Tempel unbedingt mal sehen, auch wenn ich nicht wusste, dass es so eine besondere Erfahrung werden würde. Ich habe mich gefreut, dass es geklappt hat.

… und die Ruhe im Tempel © Tobias Zielony

Kommen wir nochmal zum Sport. Wie geht es denn deinem Fuß?

Der Fuß ist sehr gut verheilt, vor allem da, wo er im April operiert wurde. Er ist viel beweglicher als in den letzten Jahren. Im Juli, August haben wir angefangen, langsam mehr zu machen. Auch zu rennen. Und im September haben wir richtig Gas gegeben. Ich habe dann sogar schon mitgespielt – sogar Scrimmages. Aber durch die ungewohnte Belastung hat sich diese Sehne hier außen etwas entzündet.

Weil sie überlastet war?

Das ging vor vier Wochen los. Der Fuß ist gut verheilt, aber die Sehne war ein bisschen gereizt. Das wird schon wieder weggehen, habe ich gedacht und habe weitertrainiert. Als es nicht richtig besser wurde, habe ich ein MRT machen lassen. Ich hatte schon befürchtet, dass es ein Ermüdungsbruch sein könnte. War es aber nicht, alles war gut. Dann kam das Trainingsspiel und danach bin ich etwas rumgehumpelt. Seitdem machen wir recht langsam. Es ist ein Wartespiel. Auf dem Feld war ich schon eine Weile nicht mehr.

Die Saison rückt langsam näher.

Ich habe bisher noch nicht richtig mittrainieren können. Für die ersten Saisonwochen wird es eng. Das ist schade, aber wie gesagt: Wir wollen jetzt nicht zu früh zu viel machen, denn sonst hat man damit das ganze Jahr Probleme.

Du siehst aber trotz alldem ziemlich fit aus.  

Ich habe ein bisschen Gewicht verloren. Ich wollte etwas leichter sein, etwas beweglicher. Ich habe in der Off-Season zweimal eine Art Fast-Fastenkur gemacht. So ein Fünf-Tage-Fasten, am ersten Tag isst du nur 1200 Kalorien und fährst die nächsten Tage runter auf 800 Kalorien.

Und wie viel isst du sonst?

8000? Ehrlich gesagt: keine Ahnung. Auf jeden Fall nicht 800. Ich glaube, ein normaler Erwachsener nimmt durchschnittlich 2000 bis 2500 zu sich. Ich natürlich etwas mehr. An Spieltagen esse ich ja zwei, drei Mal warm. Plus Snacks. Das wird schon auf die fünf-, sechstausend hinauslaufen. Ich glaube, ich habe insgesamt mit dem Programm gut fünf, sechs Kilo verloren. Und habe mich super gefühlt. Das mit dem Fuß ist jetzt ein kleiner Rückschlag.

Und es gibt keinen konkreten Zeitplan für die Rückkehr? Oder heißt es einfach nur: Warten?

Wir warten, bis die Entzündung raus ist. Und deswegen gibt es gerade keinen Zeitplan. Immer wieder ein bisschen mehr machen und dann schauen, wie die Sehne reagiert. Tag für Tag werden wir ein bisschen mehr machen. Heute habe ich ein paar Freiwürfe geworfen. Wenn wir wieder in Dallas sind, werden wir die Intensität hochfahren.

Wir haben gestern mit deinem Trainer Jeremy Holsopple über solche Fragen geredet: Die Disziplin des Profisportlers beim Essen und so weiter. Auch darüber, dass du dadurch körperlich sehr fit bist. Redet ihr im Team auch über solche Dinge? Die gehören ja zum Profisport dazu.

Das gehört dazu, und wir sprechen auf jeden Fall über diese Aspekte. Als ich damals angefangen habe, wusste man noch nicht so viel über Ernährung und darüber, wie man richtiges Krafttraining macht. Damals waren wir einfach noch nicht so weit. Man hat oft gesehen, dass sich Spieler noch sechzig Minuten vor dem Spiel Chicken Fingers und Burger reingedreht haben. Das war früher relativ normal. Aber diese Zeiten sind vorbei. Jetzt weiß man einfach viel mehr über Ernährung und Fitness. Ich hätte dieses Wissen gerne früher gehabt. Ich habe erst mit etwa 28 einen richtigen Cut gemacht. Nachdem wir die Finalserie gegen Miami verloren hatten, habe ich mich bei der WM in Japan ziemlich schlecht gefühlt. Mir war klar: »Ich muss was ändern.« Dann habe ich eine Art Entgiftungskur gemacht und meine Ernährung umgestellt, einmal komplett den Reset-Button gedrückt. Und seitdem habe ich mich während der Saison anders ernährt. Keinen Alkohol, keinen Nachtisch, keine Softdrinks mehr. Davor gab’s oft Sprite. In Deutschland war es früher so: Wenn du in ein Restaurant gehst und eine Sprite nachbestellst, musst du die immer neu bezahlen. Dann kam ich nach Amerika und es gab Free Instant Refill: Ich habe mir bei so einem Dinner dann zwei oder drei Liter davon reingedonnert. Mir war gar nicht klar, wie schlecht das eigentlich war. Da war ich 19, 20, 21. Bis mir der Nash irgendwann mal gesagt hat: »Sag mal, du trinkst verdammt viel Limo.« Das war mir gar nicht aufgefallen. Sprite, Fanta, Cola, Mezzo Mix, ich habe alles getrunken. Das ist heute anders.

Bist du auch eine Art Ernährungsberater für die Jungen?

Jeder muss seine eigenen Erfahrungen machen. Wie man sich am besten fühlt, wann man sich am besten bewegt. Wie man so eine NBA-Saison am besten übersteht. Dass man 48 Minuten besser übersteht, wenn man ein paar Kilo weniger wiegt. Oder eben: dass man zulegen muss, um die nötige Kraft zu haben. Wie ich damals. Es geht nicht darum, einem jungen Spieler zu erzählen, dass er fortan nur noch Salat essen darf. Das muss man am eigenen Leib erfahren und für sich selbst herausfinden. Die jungen Spieler sind da aber sehr gut informiert. Harrison Barnes zum Beispiel hat immer schon wahnsinnig auf seine Ernährung geachtet – und er ist erst 26.

Mich interessiert der Wandel deiner Rolle – wie siehst du denn deine Funktion in der Teamstruktur?

Erfahrung bringen, und auch ein bisschen Spaß haben. Den Jungs helfen, wo es nur geht. Auf dem Spielfeld, außerhalb des Spielfelds. Ich muss meine Erfahrung einbringen und die Jungs locker halten, Spaß haben – da bin ich ja immer gerne dabei. Mit gutem Beispiel vorangehen. Schauen wir mal, wie der Fuß hält.

Was sagst du zu Luka Dončić? Der Hype scheint groß zu werden. Fragt der dich um Rat?

Ich glaube, dass das erste Jahr für ihn gut wird, aber ab und zu auch schwer. Das ist für alle so. Ich glaube, dass er in Europa viel mit Talent gemacht hat. Er war immer der Beste, ist in der Euroleague MVP geworden, hat letztes Jahr mit Slowenien die EM geholt. Er ist schon seit Jahren ein Wunderkind, er hat alles gewonnen, was es zu gewinnen gibt. Und so jemand hat schon ordentlich Swag. Er hat keine Scheu. Viele andere werden sich mit ihm messen wollen. In der Liga sind sie verdammt schnell auf dem Flügel und diesen Speed mitzugehen wird für ihn eine Herausforderung werden. Aber er kann spielen! Er hat eine unglaubliche Übersicht. Wenn du mich fragst: Sein Spiel ist 25, 26, 27 – für einen 19-Jährigen gibt er unglaubliche Pässe. Wie er das Spiel liest und wie er sieht, wie sich Sachen entwickeln. Das kann man normalerweise nur mit viel Erfahrung.

Aber nimmst du ihn und die anderen jungen Spieler mal zur Seite und redest mit denen über diese Dinge?

Wenn sie Fragen haben, kommen sie zu mir. Aber ich bin nicht so der aufdringliche Typ und sage, dass sie es so oder so machen müssen. Das war nie so mein Ding, das werde ich auch jetzt nicht anfangen. Ich kann mit gutem Beispiel vorangehen, hart arbeiten – ich glaube, das können sie alle von mir lernen. Wobei: im Moment liege ich ja meistens auf dem Behandlungstisch. Aber wenn der Fuß hält, wird das etwas sein, was ich ihnen zeigen kann.

Bobby Karalla hat in seinem FORTYONE-Text »Der ewige Dirk« vermutet, dass du bereit wärst, eventuell auch von der Bank zu kommen. Ist das für dich ein bemerkenswerter Schritt oder nicht?

Als im Juli DeAndre Jordan geholt wurde, war für mich klar, dass ich von der Bank kommen werde. Ich habe ja in den letzten zwei Jahren fast ausschließlich Center gespielt, weil die Vierer alle verdammt schnell sind und mittlerweile alle schießen können. Da war mir klar, dass ich von der Bank komme. Das wird eine Umstellung sein, das hatte ich in meiner ganzen Karriere nicht, auch nicht in der Nationalmannschaft. Seit meinem ersten Jahr bei den Mavericks bin ich nicht mehr von der Bank gekommen. Das ist natürlich zwanzig Jahre her, aber ich werde da einen Weg finden, um der Mannschaft zu helfen. Für mich ist das kein Problem. Ich habe schon immer gesagt, dass es um die Mannschaft geht, um Mannschaftserfolg und nicht um ein Individuum. Ganz egal, wer man ist. Es geht darum, wie man dem Team helfen kann. Wie wir am meisten Spiele gewinnen.

___ von Redaktion Fortyone.

Fotos © Tobias Zielony