Diese Geschichte beginnt natürlich in einer Turnhalle: Wir befinden uns in der slowenischen Hauptstadt Ljubljana. Eine verlassene Arena, zerkratztes Parkett, hölzerne Tribünen, ausgefranste Korbnetze und der staubige Geruch der Sportgeschichte. Aus einem Kofferradio dudelt leise Musik. In der Hala Tivoli wurden Meisterschaften gefeiert und Niederlagen beweint, hier haben Generationen von Basketballern das Spiel gespielt, vom ersten Korbleger bis zum entscheidenden Wurf. Die Meisterbanner unter der Hallendecke wehen sanft im Wind der Ventilatoren.
Vor der Tür hält ein schwarzer Van. Zwei Gestalten steigen aus und betreten das Spielfeld, eine junge, eine ältere, ihre Schuhe quietschen auf dem Holzboden. Sie haben einen einzigen Ball dabei. Die ältere Silhouette wirft der jüngeren den Ball zu, hin und her, dann zielt die jüngere, aber sie trifft nicht. Das Flutlicht springt an. Klonk. Wirft wieder, trifft wieder nicht. Und wieder. Und wieder nicht.
Die Gestalten sind Dirk Nowitzki und sein Freund und Trainer Holger Geschwindner. Sie befinden sich in Slowenien, weil hier ein paar Tage lang Werbefilme gedreht werden. Dirk Nowitzki ist ein gefragter Mann, er ist auf dem Höhepunkt seiner Popularität, alle wollen etwas von ihm. Ein ganzes Filmteam steht auf einer Alm in den slowenischen Bergen und wartet auf ihn, Kühe muhen, Windmaschinen wirbeln. Die Zeit ist knapp, gegen Nachmittag soll es regnen, jede Sekunde Verzögerung kostet bares Geld. Der Druck ist groß, das spürt man, alle wünschen sich ein weiteres freundliches Lächeln, einen weiteren Take, noch einmal alles von vorne. Recht witzig, bitte, recht gut gelaunt!
Holger wirft Dirk den Ball zu, Dirk fängt und wirft und trifft nicht. Jetzt flucht er. Er wirft wieder und trifft wieder nicht, er stakst eckig und unlustig über das Feld, er schimpft vor sich hin, er beschwert sich über dieses und jenes, die Knochen, den Zeitplan. Wie es jeder von uns machen würde. Zehn Minuten lang geht das so, fünfzehn. Der Stress ist greifbar, er wartet mit laufendem Motor vor der Tür.
Und dann geschieht etwas Unerwartetes: Geschwindner klemmt sich den Ball unter den Arm, hebt die Hand und geht langsam auf Nowitzki zu. Es ist fast vollkommen still in der Halle, die Lüftung rauscht leise, aus der Hausmeisterkabine klimpert Klaviermusik. Geschwindner flüstert Dirk etwas zu. Dirk lächelt schief. Holger stellt ein paar Fragen, Dirk grinst und gibt leise seine Antworten, die Stichworte sirren durch den Raum, es fallen Namen wie »Modest Mussorgski« und »Dshamilja«, plötzlich beschreibt Dirk »die Wellen des Weizens im Wind« und »die violette Steppe«. Die beiden reden, sie lachen, Geschwindner zeigt in die Ferne jenseits der Tribünen, hinaus aus dem Fenster, grob Richtung Nordost, quer über den Kontinent hin zu den kirgisischen Getreidefeldern.
Dirk und Holger sprechen einige Minuten lang über Literatur und Musik, sie reden über Aitmatows Erzählung Dshamilja, sie sagen Dinge und denken Gedanken, die in Turnhallen selten gesagt und gedacht werden. Bald lachen sie, sie summen und singen, kurz darauf bellen die beiden derbe Witze durch die Halle. Sie kommen im Moment an, alles andere verblasst. Irgendwann lässt Geschwindner den Ball wieder los und rollt ihn in Nowitzkis Richtung. Dirk nimmt den Ball und wirft erneut, und jetzt trifft er. Er wirft und trifft. Und bald hören die beiden auf zu reden und tun das, was sie all die Jahre schon getan haben: Holger passt den Ball zu Dirk, Dirk wirft, Dirk punktet. Sie spielen. Dirk läuft jetzt leichter und freier, er kann hier und jetzt das Beste aus seinen Möglichkeiten machen.
Was sich liest wie eine winzige und willkürlich gewählte Anekdote aus der langen und wilden, an Höhen und Tiefen reichen Karriere des Dirk Nowitzki, ist dennoch ein zentraler Moment. Ein Sinnbild. Die Geschichte von Holger Geschwindner und Dirk Nowitzki ist oft erzählt worden: Wie sich die beiden trafen, als Dirk noch ein schmaler Teenager war, wie Dirk seine einzigartige Karriere mit Medaillen und dem Meistertitel machte, mit Olympischen Spielen und individuellen Auszeichnungen, Geschwindner hält ihm den Rücken frei. An jenem Nachmittag in Slowenien ist Dirk Nowitzki längst ein erwachsener Mann, selbst Vater, ein mit allen Wassern gewaschener Superstar und Weltbürger – und trotzdem vertraut er weiterhin dem Rat und den Strategien des Älteren.
Es sind Augenblicke wie dieser, in denen begreiflich wird, warum Holger Geschwindner und Dirk Nowitzki erfolgreich sind. Wir beobachten zwei Menschen, die einander vertrauen. Wir sehen, wie der eine dem anderen hilft, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Die eigenen Stärken zu sehen. Sich klarzumachen, was der Kern des Ganzen ist. Sich auf das Spiel zu besinnen. Ganz bei sich zu sein, obwohl es ein Leichtes wäre, sich im Drumherum zu verlieren. Der nicht das macht, was alle machen. Wir sehen Psychologie und Freundschaft, Freiheit und Disziplin. Wir beobachten einen Mentor und seinen Mentee.
Betrachten wir die Gegenwart: Dirk Nowitzki ist mit seinen 39 Jahren der Elder Statesman der Liga, er geht in seine 20. Saison bei den Dallas Mavericks. Dirk ist längst selbst Mentor für seine meist viel jüngeren Mannschaftskameraden, für Spieler, die mit ihm als Vorbild aufgewachsen sind. Dirk Nowitzkis Geschichte ist beispielhaft, sie ist weltweit vielen Menschen Inspiration. Sie ist ein Beispiel für all das, was möglich ist, wenn man lernt, an sich zu glauben. Und wenn man Menschen hat, die einen dabei unterstützen.
Die Dirk Nowitzki-Stiftung versteht die Geschichte ihres Stifters als Auftrag. Dabei geht es uns um viel mehr als nur um Basketball. Nicht jeder hat die Voraussetzungen, um ein Superstar zu werden, aber jeder kann das Beste aus seinen Möglichkeiten machen. Es geht um Wagemut, Selbstbewusstsein und Selbstermächtigung. Um das Entdecken und Ergreifen der Möglichkeiten, die einem das Leben bietet. Kinder und Jugendliche sollen entdecken dürfen, wo ihre tatsächlichen Stärken und Potenziale liegen, und dann frei und spielerisch an ihnen arbeiten. Sie sollen herausfinden, wer sie sind und wer sie sein können. Es geht uns darum, junge Menschen dabei zu unterstützen, sie selbst zu werden. Ihr ganz eigenes Ding zu machen. Sei es im Sport oder im Leben.
Gucken wir nach vorne. Was für die jungen Leute gilt, gilt auch für uns bei der Dirk Nowitzki-Stiftung: Wir wollen unsere eigenen Wege gehen. Konzeptuell, pädagogisch und im Sprechen über unsere Arbeit. Gemeinsam mit der »Akademie für Potentialentfaltung« des Neurobiologen Gerald Hüther wollen wir Kinder und Jugendliche auf ihrem Weg begleiten. Und wir wollen Menschen ausbilden, die ihnen dabei helfen können. In naher Zukunft wird aus dieser Idee ein konkreter Lern- und Spielort werden.
Auch das Sprechen über unsere Arbeit verändert sich. Deshalb haben wir FORTYONE erfunden. Über Dirk ist viel geschrieben und erzählt worden, aber es ist längst noch nicht alles gesagt. FORTYONE ist ein Magazin, das tiefe, ausführliche und aufwendig produzierte Geschichten erzählen wird: von uns und unserer Arbeit, von Dirk und seiner Welt. Kleine Geschichten wie die von Holger und Dirk in der Hala Tivoli von Ljubljana. Geschichten wie die von Davide, der in unserem Förderprojekt BasKIDBall seinen eigenen Weg gefunden hat und der jetzt anderen dabei hilft, ihren Weg zu gehen. Geschichten von Menschen wie Dir. Dirks Welt ist voll von interessanten Gestalten, und FORTYONE will ihre Stimmen hör- und lesbar machen: Sportler, Künstler, Musiker. Mitspieler, Gegner, Trainer. Malermeister, Surflehrer, Schüler. DIRK UND DU! Es gibt viele tolle Geschichten, lasst sie uns erzählen, lasst sie uns gemeinsam weiterschreiben. FORTYONE ist ein Magazin für Euch – herzlich willkommen!