Prof. Dr. Sascha L. Schmidt leitet das renommierte Center for Sports and Management an der WHU in Düsseldorf, war Gastprofessor an der Harvard University – und ist einer der Autoren der Fallstudie »Changing the Game: Dirk Nowitzki«. Er hat sich intensiv mit Dirk, seiner öffentlichen Wahrnehmung und Zukunftsgestaltung beschäftigt. Zudem waren er und die WHU Gastgeber der ersten Ausbildungsrunde zum GameChanger. Mit FORTYONE spricht er über Zukunftsperspektiven und -strategien – und über das Phänomen »Dirk« aus Sicht des Wirtschaftswissenschaftlers.
FORTYONE: Sascha Schmidt, wenn man Dirk als Superstar und Dirk als sozialen Akteur betrachtet: Was ist die Gemeinsamkeit dieser beiden Persönlichkeiten?
Sascha Schmidt: Das ist das Spezielle und Besondere an Dirk Nowitzki: Er hat diese Superstarattitüde gar nicht, die man sonst bei weltberühmten Menschen erwartet. Da ist er ein absolutes Unikum. Wenn man schaut, wie bodenständig er in der weitaus kommerziellsten Sportliga der Welt geblieben ist, dann ist das an sich ja schon ein Phänomen. Und das lässt sich sicher auf seine einzigartige Geschichte zurückführen – sein familiäres Umfeld, seine Freunde, seine Beziehung zu seinem Mentor und Trainer.
Ist das etwas Erlerntes?
Ein Teil ist sicherlich Sozialisation, das, was man frühkindlich erfährt. Er hat ja nun mal gewisse Charakterzüge, die unumstößlich sind. So als »Fels in der Brandung«. Und das macht ihn als Menschen einzigartig.
Haben Sie eine Fanbeziehung gehabt? Sie beschäftigen sich natürlich sehr viel mit Sport, aber gab es eine emotionale Beziehung zu Dirk Nowitzki?
Ja, durchaus. Es gibt diese emotionale Bindung. Wir haben natürlich als Deutsche mitgefiebert, 2011, als diese unglaubliche Geschichte mit dem finalen Erfolg der Mavericks gekrönt wurde, dem Titelgewinn. Das haben wir natürlich von Berufs wegen sowieso wahrgenommen. Wenn einen diese Geschichte nicht auch menschlich berührt hat und man keine emotionale Beziehung dazu hatte, dann kann ich das nicht nachvollziehen. Und auch der Film Der perfekte Wurf hat sehr schön transportiert, wie Dirk und sein Umfeld sind. Das hat mich nicht nur neugierig gemacht, sondern hat auch den Wissenschaftler in mir geweckt. Ich wollte einfach verstehen, wie deckungsgleich er und sein Image eigentlich sind. Wenn man dann herausfindet, dass er tatsächlich so ist wie er öffentlich dargestellt wird, dann ist es umso faszinierender.
Haben Sie einen Unterschied zwischen der öffentlichen Figur »Dirk Nowitzki« und dem realen Menschen bemerkt?
Nein, erstaunlicherweise nicht. Das macht seine Authentizität aus. Das ist genau das, um das sich viele bekannte Menschen bemühen, aber was nur wenigen gelingt. Bei Dirk kommen sich öffentliche und persönlichen Aura sehr nahe. Das ist sicher eine der Besonderheiten des Dirk Nowitzki.
Sie haben einen »Harvard Business Case« zu Dirk erstellt. Können Sie kurz erklären, was das ist, und warum diese Studie erstellt wurde?
Die Harvard Business School hat die sogenannte »Fallstudienmethode« erfunden. Das heißt, dass man im Klassenraum konkrete Fälle bespricht, die im wahren Unternehmensleben genau so vorkommen. Das hat den Vorteil einer hohen Relevanz – und dass man die Theorie aus dem Klassenraum heraus in die Vorbereitung der Studenten verlagert. Natürlich spielt Theorie eine Rolle, aber im Unterricht selbst operiert man praktisch am lebenden Patienten. Und so haben wir es auch bei Dirk Nowitzki gemacht. Bei einer Fallstudie kommt es darauf an zu erkennen: Worin besteht hier das Management-Dilemma? Oder: Was ist die Situation, in die ich angehende oder bereits etablierte Manager versetze? Sie sollen ein Problem lösen, beziehungsweise eine Aufgabe bewältigen, die einer Situation im echten Wirtschaftsleben sehr nahekommt. Das emotionalisiert die Studenten. Sie denken dann viel mehr mit und können sich das Gelernte besser merken.
Und was war die konkrete Problemstellung bei Dirk Nowitzki?
Wir haben sein bisheriges Leben Revue passieren lassen, aber auch darauf geschaut, wie er die NBA und das Basketballspiel verändert hat. Durch seine Art zu spielen. Durch die Art, wie er ist. Durch den Impact, den er auf die Mavericks hatte. Und dann haben wir uns gefragt: Wie ist denn Dirk Nowitzki als Produkt? Man nennt das auch das Markenimage eines Produkts. Was zeichnet ihn eigentlich aus? Wo unterscheidet er sich von Stars wie Lebron James oder Kobe Bryant oder Steph Curry? Die Fallstudie läuft dann auf die Frage hinaus: Wie schaffe ich es, dieses Image und diese Legacy von Dirk in den nichtsportlichen Bereich – also in seine zweite Karriere – zu transferieren? Und das ist gar keine triviale Aufgabe.
Und wie schafft man das?
Dieses Teammentorenprogramm ist sicherlich ein Ansatzpunkt. Etwas, das Dirk sehr geprägt hat, ist ja seine Beziehung zu seinem Mentor Holger Geschwindner gewesen. Das, was sie gemeinsam gestaltet haben, hat ihn zu dem Menschen und Basketballspieler gemacht hat, der er heute ist. Das ist etwas sehr Spezifisches für Dirk. Das nun aufzubereiten und anderen weiterzugeben, ist meinem Eindruck nach ein sinnvoller Baustein dafür, das Vermächtnis von Dirk in eine zukunftsfähige Form zu übersetzen, in der auch die Gesellschaft davon profitieren kann. Ich glaube, das ist auch ihm ein wichtiges Anliegen.
Die sportlichen Faktoren sind klar: Er und Geschwindner habe auf diese besondere Art und Weise trainiert. Welche anderen Faktoren sind noch besonders in dem Verhältnis zwischen Holger und Dirk?
Die Reflektion. Auch über die Problemstellungen im Mannschaftssport. Natürlich kommt es mitunter zu Konflikten, zu besonderen Drucksituationen. Das dann mit einem Mentor auseinanderzunehmen und zu überlegen: Wie gehe ich damit um? Wo muss ich mich selber weiterentwickeln? Wo gebe ich nach, wo fordere ich aber auch Dinge ein? Diese Auseinandersetzung mit einem Mentor macht es einfacher und man kommt zu besseren Lösungen, als wenn jeder das mit sich selbst austrägt.
Nun ist dies ja ein »Business Case«. Wenn man sich also die Zahlen anguckt, gibt es da auch eine Besonderheit bei Dirk?
Ja, eine große Besonderheit. Wenn man sich Marktwert und vermarkteten Wert anschaut, stellt man eine riesige Diskrepanz fest. Wir haben uns das angeschaut: 2011 war Dirk nach dem Gewinn der Meisterschaft der wertvollste Spieler der NBA. Und wenn man seine Sponsoring-Verträge dagegengehalten hat, standen diese in einem totalen Missverhältnis; er hat sein Vermarktungspotential nur zum Teil ausgeschöpft. Allerdings als vollkommen bewusste Entscheidung. Das findet man bei keinem anderen Spieler so.
Dass er gesagt hat: »Ich bin Most Marketable Man in Basketball, aber ich fahre jetzt in den Urlaub.«
Genau. Oder: »Ich verbringe Zeit mit der Familie.« Anstatt seine freie Zeit zu monetarisieren.
Und was denkt man als Wirtschaftsmensch darüber? Ist das positiv zu bewerten? Oder könnte man sagen: »Das ist genau das, was ihn ausmacht«?
Das ist eine Frage, die ich mit den Studenten auch immer diskutiere: »Warum verzichtet jemand auf Geld, das er relativ einfach hätte einsammeln können?« Das mag einem auf den ersten Blick naiv vorkommen, weil man denken könnte: Mensch, da hat er ein Riesenpotenzial vergeben. Wenn man aber eine lebenslange Betrachtung anstellt, dann könnte sich das sogar ökonomisch auszahlen, auf ein gewisses Geld in der frühen Phase oder mittleren Phase der Sportlerkarriere verzichtet zu haben. Sein Verhalten hat ja den Vorteil, dass er viel authentischer ist – als Mensch und als Marke. Er hat sich nicht verkauft. Und das führt wahrscheinlich dazu, dass sein Markenwert nach der Karriere höher ist als der von denjenigen, die sich während der Karriere schon ausvermarktet haben. Von daher müssen wir uns das in ein paar Jahren mal anschauen. Aber nach hinten raus, in der langfristigen Perspektive, könnte das sogar aus wirtschaftlicher Sicht äußerst smart gewesen sein.
Einfach, weil sein Image so gut ist? Sprich: Weil die bewiesene Loyalität und Bescheidenheit so einen langfristigen Wert hat? Anders, als wenn er jetzt gesagt hätte: »Ich streiche zehn Millionen für Uhrenwerbung ein«? Gibt es denn auch einen nicht-finanziellen, vielleicht sogar einen moralischen Aspekt bei solchen Entscheidungen wie dem Verzicht auf Geld? Er hätte ja innerhalb von vier, fünf, sechs Wochen Millionen machen und für seine Zwecke einsetzen können. Nicht für teure Autos oder Luxusgüter, sondern für einen guten Zweck zum Beispiel. Hat jemand, der so »marketable« ist, eventuell gar eine Verpflichtung, solche Dinge zu tun?
Ich denke, hier geht es um Selbstbestimmtheit. Dass er eben einer der wenigen Topspieler auf dem Niveau war, der absolut selbstbestimmt war und sich nicht hat verleiten lassen, von den sich bietenden Möglichkeiten, mehr Geld zu verdienen. Und das ist schon eine sehr starke Charaktereigenschaft von Dirk, diesen Versuchungen nicht zu erliegen und sein Ding einfach durchzuziehen.
Ich würde ja behaupten, dass er so lange auf so hohem Niveau Basketball spielen konnte, weil er sich so entschieden hat. Weil er sich auf das konzentrieren konnte, was für ihn persönlich wirklich wichtig ist. Und deshalb auch für seine Leistung. Er hat sich praktisch immer den nötigen Freiraum erhalten.
Er hat ja über sich selbst gesagt, dass er ein »Wohlfühlspieler« ist. Seine beste Leistung ruft er nicht durch Konflikte oder in einem angespannten Verhältnis ab, sondern dann, wenn alles harmonisch ist. Deswegen gehe ich davon aus, dass es für seine Bestleistung wichtig ist, dass er selbst in balance ist. Und ich denke: Wenn er Dinge getan hätte, hinter denen er nicht gestanden hätte, dann wäre es ihm auch schwerer gefallen, diese Balance zu finden. Und vor allem: Den Ausgleich zum Profisport zu haben. Aber gerade das hat ihn wahrscheinlich so erfolgreich gemacht. Dann könnten wir sagen: Es war eigentlich ein gutes Investment, dass er nicht so viel Zeit auf Marketing verwandt hat, sondern sich und seine Balance finden konnte, um seine beste sportliche Leistung abrufen zu können.
Ist es für Dirk leichter als für andere Sportler, den Übergang vom Profisportler zum Gesellschaftsakteur zu vollziehen?
Ja. Man sagt ja so schön: »An athlete dies twice.« Auch für ihn ist das nicht leichter, weil er einfach so lange auf so hohem Niveau gespielt hat. Wenn man etwas 20 Jahre lang so intensiv betreibt, ist es immer schwer, anschließend etwas anderes zu machen. Denn bis man in dieser anderen Tätigkeit wieder auf so ein extrem hohes Niveau kommt – egal in welcher anderen Tätigkeit –, braucht es natürlich Zeit. Das ist ein Veränderungsprozess, mit dem sich natürlich jeder Mensch schwertut. Man startet mit der nächsten Aufgabe eben nicht einfach so auf Top-Level. Manche Dinge müssen sich auch erst finden. Bei dem aktiven Sportler ist das recht einfach, der muss ja gar nicht so viel nach links und rechts schauen. Der steckt in einer festen Struktur, die aber auch Halt und Orientierung bietet, und es teilweise einfacher macht.
Kommen wir zu 41Campus, dem Bildungsportal für Teammentoring im Sport. Wie kam es zur Kooperation Ihrer Hochschule mit Dirk Nowitzki, seiner Stiftung und ihrem GameChanger-Programm?
Die Initialzündung war die Bekanntschaft mit Silke Mayer, der Schwester von Dirk. Wir haben uns auf einer Podiumsdiskussion des FC Bayern München-Basketball kennengelernt. Die Stiftung verfolgt ja das Ziel, Dirk in soziale Bereiche hineinzutragen – also sein Image zu übersetzen. Das finde ich sehr spannend. Und die von Anfang an sehr guten Diskussionen sind dann in diesem konkreten gemeinsamen Projekt gemündet.
Was war der Anteil der WHU bei der Entwicklung des Programms? Und wie sieht die Kooperation mit der Dirk Nowitzki-Stiftung aus?
Wir haben die Stiftung wissenschaftlich begleitet. Das heißt, dass wir die Erfahrung, die wir beim Aufbau von Lehrprogrammen und in der Strukturierung eines Curriculums haben, einbringen konnten. Wir stellen Fragen wie: Ist das Studienkonzept auch theoretisch fundiert? Sind die Inhalte, die wir vermitteln, empirisch abgesichert? Ich denke, das war für die Stiftung hilfreich, weil sie gemeinsam mit uns überprüfen und gegenchecken konnten, ob ihre Ideen auch aus wissenschaftlicher und pädagogischer Sicht überzeugend sind. Das war ein schöner Prozess. Dieses wechselseitige Testen, um zu schauen, ob man etwas Einzigartiges hinbekommt – etwas, das aus der Erfahrung von Dirk kommt und zugleich ein wissenschaftliches Fundament und pädagogische Substanz hat. Das auch in der Lehre transportierbar ist.
Inzwischen haben die ersten Sportlerinnen und Sportler das GameChanger-Programm durchlaufen. Was kann dieses Programm erreichen?
Ich finde es super, dass wir jetzt erste konkrete Erfahrungswerte haben. Der große Unterschied zu anderen Programmen ist ja, dass es die Essenz von Dirk Nowitzki widerspiegelt. Sein Wesen und seine Erfahrung finden sich in jeder Phase dieses Programms wieder. Das ist etwas, was andere Programme nicht haben, und das ist, glaube ich, das Wichtigste. Über das GameChanger-Programm besteht eine gute Chance auf Verbreitung und Weitergabe dieser Werte und Erfahrungen.