Der Sommer liegt über der Stadt, als der Sprinter auf den Parkplatz am Würzburger Hauptbahnhof rollt. Die Junior-Experten stehen neben ihren gepackten Koffern und warten, manche etwas nervös, vorfreudig die meisten: Max, Silas, Lucius, Charlene, Sarah-Lee, Luca, Bruno, Luis, Ben und Charlotte sind hier, um ein gemeinsames Wochenende im Haus Volkersberg in Unterfranken zu verbringen. Klettergarten, Lagerfeuer, Werwolf und Marshmallows. Ohne Lehrer, ohne Eltern, aber mit jeder Menge Verantwortung. Und großen Entscheidungen im Blick.
Die Taschen in den Kofferraum und los. Nur Silke Mayer und Renate Schüßlbauer von der Dirk Nowitzki-Stiftung sind dabei, ansonsten steht das Wochenende ganz im Zeichen der Selbstbestimmung der 10- bis 15-jährigen Experten. Die Fahrt vergeht im Handumdrehen, bergab, bergauf, Volkersberg. Dort wird die Gruppe von Laura Klüpfel begrüßt, die in der Jugendbildungsstätte als Teamerin arbeitet. Die Bungalows werden bezogen, und dann geht es los.
Die Junior-Experten sind nach Volkersberg gekommen, um zu entscheiden, welche Team-Up-Projekte die Dirk Nowitzki-Stiftung in diesem Jahr fördern wird. 30.000 Euro sind zu vergeben, mehr als 30 Projekte haben sich mit ausführlichen Portfolios beworben. Das ist viel Geld, und die Auswahl ist schwierig. Aber die Junior-Experten haben ein Wochenende Zeit, sich eingehend mit den Projekten zu befassen und eine informierte und gute Entscheidung zu treffen.
Charlotte Görl ist zum zweiten Mal Junior-Expertin. Die Schülerin der 9. Klasse des Riemenschneider-Gymnasiums freut sich auf die außergewöhnliche und ganz reale Verantwortung, die die Junior-Experten haben werden. »Entscheider zu sein, ist ein ungewohntes, aber gutes Gefühl«, erklärt sie. »Mitzubestimmen gibt Selbstbewusstsein.«
Zunächst einigen sich die Junior-Experten auf eine gute Gesprächskultur – es soll diskutiert, nicht gestritten werden. Es geht um Argumente und Positionen, nicht um einen Wettbewerb. Es geht darum, gemeinsam zu guten und richtigen Entscheidungen zu finden. Einander zuzuhören und gemeinsam Verantwortung zu übernehmen. Dazu machen sie sich zunächst einmal bewusst, wieviel Geld überhaupt an die Projekte zu vergeben ist. Was bedeuten 30.000 Euro? Ein Auto? 30 richtig gute Fahrräder? 600 Monate Taschengeld, also 50 Jahre?
Mit diesen Überlegungen im Hinterkopf machen sich die Junior-Experten auf den Weg: Auf dem riesigen Gelände sind Poster mit den Projektbeschreibungen verteilt, und die Mädchen und Jungen wandern von Projekt zu Projekt. Sie lesen und debattieren, stellen Fragen und finden Antworten. Für richtige Antworten gibt es Marshmallows, und als die Experten am Abend ums Lagerfeuer sitzen, haben alle eine ziemliche genaue Vorstellung davon, wer sich bewirbt, welche Mittel benötigt werden und wie genau die Dirk Nowitzki-Stiftung helfen kann. Und wie bedeutsam die Entscheidung der Junior-Experten ist.
Am nächsten Morgen klettert und kraxelt und hangelt sich die Gruppe durch den Hochseilgarten Volkersberg – und dabei geht es nicht einfach nur um den Thrill der Höhe. Die Junior-Experten müssen sich gegenseitig sichern, der Einzelne kommt nur als Teil der Gruppe sicher ans Ziel. Der Ausflug ist ein Paradebeispiel für Teambuilding, eine Metapher für Gemeinsamkeit. Es braucht Vertrauen, Kommunikation, Integration, Akzeptanz und Teamarbeit, um das gemeinsame Ziel zu erreichen, es braucht Spaß und die Bereitschaft zu neuen Erfahrungen.
Es sind genau diese selbst erarbeiteten Kriterien, unter denen die Junior-Experten die eingereichten Projekte noch einmal ganz genau betrachten und bewerten: Welches Projekt ist integrativ? Welches fördert Akzeptanz? Welches verspricht am meisten Spaß? Was genau bedeutet Integration? Jedes einzelne Projekt erhält gemäß seiner Beschreibung Punkte in Form von Münzen – und am Ende steht fest, welche Projekte gefördert werden. Dialog und Diskussion führen zu Kompromissen und letztlich zur gemeinsamen Entscheidung der Junior-Experten. Acht Projekte werden mit unterschiedlichen Fördersummen unterstützt, drei Beispiele seien hier genannt:
Die Hamburger Circusschule »Die Rotznasen« kann mit der Unterstützung der Dirk Nowitzki-Stiftung ein Zirkustheaterstück entwickeln, proben und auf die Bühne bringen, in dem Kinder aus allen sozialen Schichten und Kulturen zusammenarbeiten. Vorurteile und Bedenken gegenüber dem Fremden werden in der gemeinsamen Zirkusarbeit abgebaut – am Ende der gemeinsamen Arbeit wird ein spektakulärer gemeinsamer Zirkusabend stehen.
Der Kölner Verein Kindernöte e.V. bringt in seiner wöchentlich stattfindenden Fußballgruppe Kinder verschiedener Schulformen zusammen, FörderschülerInnen und GymnasiastInnen gleichermaßen. Erfahrene BetreuerInnen kümmern sich neben dem sportlichen Aspekt um sonstige Sorgen und Nöte der Kinder, fördern den Dialog und erarbeiten gemeinsam mit den Jugendlichen Lösungen für die verschiedensten Probleme. Allen Kindern gemeinsam ist die Freude am Spiel. Seit mehr als 15 Jahren arbeitet Kindernöte e.V. im Geiste der Verständigung, längst übernehmen die älteren Teilnehmer Verantwortung in der Arbeit mit den Jüngeren. Ganz im Sinne der Junior-Experten.
Aus Würzburg schließlich stammt ein weiteres Konzept, das die Junior-Experten begeistern konnte: Das Projekt Streetwork der Diakonie Würzburg bringt Jugendliche aus der Bahnhofsgegend, die häufig unter schwierigen sozialen und familiären Bedingungen leiden und mit Drogen- und psychischen Problemen zu kämpfen haben, regelmäßig zum gemeinsamen Klettern in der Würzburger Boulderhalle Rock-Inn zusammen, um den Jugendlichen ein positives Bewegungs- und Körpergefühl und Freude am Sport zu vermitteln und für Erfolgserlebnisse zu sorgen.
Silke Mayer von der Dirk Nowitzki-Stiftung zeigte sich begeistert vom Wochenende und vor allem von den Junior-Experten:
»Wir wollen die Rechte von Kindern stärken, vor allem das Recht auf Beteiligung liegt uns am Herzen. Durch die Junior-Experten leben wir aktive Beteiligung in unserer Stiftung. Das ist eine große Bereicherung für uns, die Perspektive der Kinder und Jugendlichen für die Projektauswahl zu erleben. Ich bin sehr dankbar, dass unsere Junior-Experten Verantwortung übernommen und als Team den schwierigen Entscheidungsprozess gemeistert haben.«
Und auch Charlotte Görl ist zufrieden. »Es ist zwar schrecklich, sich entscheiden zu müssen«, lacht sie. »Aber es ist toll, zu sehen, wie sehr sich die Leute engagieren, und wieviel Freude die Förderung der Projekte den Kindern bereiten wird.«
DIE WEITEREN GEFÖRDERTEN PROJEKTE SIND:
– b-hof Würzburg: Skaten in der Posthalle
– CHAMPIONS ohne GRENZEN e.V.: Fußballtrainings für Kids mit und ohne Fluchterfahrung (Berlin)
– Die Step-Stiftung: Begegnung durch Tanz, Spiel und Akrobatik (Freiburg)
– Agentur für Soziale Perspektiven e. V.: GRL*PWR – Selbstbehauptung für Mädchen mit Fluchterfahrungen (Berlin)
– Netzwerk Mensch gGmbH: Motorikzentrum Kita Schloss-Geister (Karlsruhe)