Das Spiel verändert sich

Entscheidend ist neben dem Platz – was die GameChanger von Coach Younis Kamil für ihre Trainingspraxis lernen können

Der Basketballsport entwickelt sich stetig weiter. Spricht man heute über die Evolution des Spiels, fallen immer wieder Begriffe wie »Small Ball« (Center alter Bauart werden immer seltener), »Skill Ball« (vielseitige Spieler werden immer beliebter) oder »Moreyball« (Advanced Stats sowie Dreier und Drives werden immer wichtiger). Klar, am Ende bleibt es Basketball und der Ball muss in den Korb. Doch manche Facetten gewinnen, andere verlieren an Bedeutung, Nuancen verschieben sich, das Spiel wandelt sich Schritt für Schritt.

Das Spiel zu ändern, dieses Ziel hat sich in gewisser Hinsicht auch der 41Campus gesetzt, das Bildungsportal der Dirk Nowitzki-Stiftung – mit der GameChanger-Ausbildung. Die Idee dahinter: Die Trainer- und Betreuer:innen sollen nicht nur den Sport lehren, also spieltaktische und technische Elemente beibringen, sondern die Kinder und Jugendliche in ihren Teams durch die Kraft des Sports in ihrer Persönlichkeitsentwicklung und Wertebildung stärken. Sie können in ihrer Vorbild- und Mentorenfunktion GameChanger für die jungen Sportlerinnen und Sportler sein, d.h. nachhaltige positive Impulse für deren sportliche und menschliche Entwicklung geben. So können sie, Schritt für Schritt, das Training und das Spiel selbst ändern und anders prägen.

Um dies zu ermöglichen, bedarf es auch eigener Entwicklung – durch Selbstreflexion und Offenheit für das Feedback anderer, durch das Feilen an Kommunikation und Kompetenzen. Darauf legt der 41Campus seinen Fokus. Die Ausbildung richtet sich an 18- bis 27-jährige Trainer:innen einer Teamsportart für Kinder und Jugendliche sowie (sozial-) pädagogische Fachkräfte in sozialen und sportlichen Einrichtungen.

Soweit die Theorie und die Grundlagen. Doch wie sieht eine solche Ausbildung in der Praxis aus? »Das ist kein Ringelpiez mit Anfassen – das ist richtiges Training.« So beschreibt Younis Kamil seinen Workshop, den er im Zuge des dritten Moduls der zweiten Ausbildungsreihe geleitet hat. Im Fokus seines Workshops: interkulturelle Kompetenz.

Younis ist Diplom-Sportwissenschaftler und Dozent an der Uni Brüssel, er besitzt auch eine A-Lizenz als Fußballtrainer. Aktuell trainiert er eine D-Jugend-Mannschaft im höherklassigen Bereich sowie ein Kreisliga-Herren-Team. Selbst hat er hierzulande in der Regionalliga sowie in seinem Heimatland Sudan ein Jahr lang als Profi gespielt. Mit YouMo! hat Younis eine eigene Firma gegründet, die junge Menschen bewegen will: in doppelter Hinsicht, auch durch die Vermittlung von Soft Skills.

Richtiges Training

Warum ist Younis’ Sportstunde also »kein Ringelpiez mit Anfassen«? Weil »jeder, der vorbeiläuft, denken würde, dass wir ein richtiges Training machen und dass es um nichts anderes als den Sport geht«, erklärt Younis. Dem ist aber nicht so: Es geht vor allem um die Vermittlung von Soft Skills durch sportbasierte Übungsformen. Aus dem Sport fürs Leben lernen anhand von Reflexion des selbst Erlebten. Wie gehe ich mit einer anderen Spielkultur um, wenn ich das Spielfeld wechseln muss? Wie integrieren wir als Team neue Mitspieler:innen?

Selbstreflexion zu den in den Übungsformen erfahrenen Kompetenzen ist ein großer Bestandteil des zweiten Teils des Workshops – wo zudem Übungen erarbeitet werden, die die Teilnehmenden in ihr eigenes Training integrieren können. Der Workshop beginnt aber nicht im Seminarraum, sondern eben auf dem Sportplatz.

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Für das Aufwärmprogramm hat sich Younis Verstärkung vom 41Campus geholt: Eine der Mitarbeiterinnen ist ehemalige Kunstturnerin. Younis hat mit ihr abgesprochen, dass sie ein spezifisches Aufwärmprogramm aus dem Turnen vormacht – und das mit einer Gruppe von Ballsportler:innen. Die Atmosphäre sei nett gewesen, erklärt Younis, »aber zunächst hat sich die Gruppe darüber mehr oder weniger lustig gemacht. Das Ganze entwickelt dann auch seine eigene Dynamik«. Eine Dynamik, die Younis von außen auch etwas befeuert – auf Grund folgenden Ansatzes: »Da kommt eine Person an, ist in der Minderheit, zeigt sich und ihre Kultur der Mehrheit, stellt also etwas Fremdes dar, was ganz viel Mut erfordert – und wird dafür belächelt oder sogar diskriminiert«, schlägt Younis eine Metapher auf das gesellschaftliche Leben.

Als die Turnerin in der Reflexionsrunde erklärt, was für ein unangenehmes Gefühl das für sie gewesen sei, wird der Gruppe bewusst, welche Auswirkungen ihr Verhalten hatte. »Das wurde richtig emotional, weil die Teilnehmerinnen und Teilnehmer gemerkt haben, dass sie jemandem unrecht getan haben«, erklärt Younis die Bedeutung von Selbstreflexion sowie Toleranz, Offenheit und Respekt.

Younis hat bei diesem Workshop mit einer elfköpfigen Gruppe zusammengearbeitet. Sechs GameChanger kommen aus dem Basketball, zwei aus dem Fußball sowie je eine:r aus dem Handball, Hockey und American Football.

Die GameChanger 2021

Auf das Aufwärmen bei Younis’ Workshop folgt eine Laufübung. Die Auszubildenden werden in zwei Gruppen eingeteilt, haben mit einem identischen Parcours zu tun – jedoch mit zwei unterschiedlichen Laufwegen, wovon die Gruppen aber nichts wissen. Fünf Minuten lässt Younis die Gruppen den Parcours durchlaufen, er nennt dies »die Kultur etablieren«, ehe er beginnt, die Gruppen zu vermischen. »Das führt natürlich zu einem riesigen Chaos und zu einem Stillstand: Weil keiner aus der einen Gruppe weiß, wie die andere Gruppe läuft«, erklärt Younis. Was er damit bezwecken will? »Natürlich ist eine Gesellschaft komplexer, aber letztlich geht es genau darum: Wenn unterschiedliche Kulturen aufeinandertreffen, musst du miteinander reden und einen Konsens finden.« In dieser Übung zeigt sich, wie wichtig Kommunikation sei – und dass man bei einem Problem gemeinsam eine Lösung finden muss.

Im letzten Teil des Sport-Blocks kommt die Komponente des Drucks hinzu – denn nun geht es darum, ein Turnier zu gewinnen. Erneut treten zwei Teams auf zwei identischen Feldern gegeneinander an. Diesmal wird jedoch nach unterschiedlichen Regeln gespielt: Die eine Gruppe muss auf das mittlere, die andere auf die beiden äußeren Tore schießen. »Wenn ich sie gefragt habe, wie es eigentlich steht, sagte die eine Gruppe 1:0, die andere 3:1 – aber für uns.« Erneut geht es darum, gemeinsam eine Lösung zu finden: Welche Regeln gelten? Und bei welchem Ergebnis geht es nach einem Konsens weiter?

»Wir müssen als Gesellschaft funktionieren, wir müssen jetzt dies und jenes tun, wir haben nicht lange Zeit für Integration.« Neben dem Leistungs- komme der Gesellschaftsdruck hinzu, erklärt Younis. »Du machst das jetzt so, weil wir das hier schon immer so gemacht haben« – das seien Gedankengänge, die auf einer Metaebene mitschwingen. Und diese Denkweise gelte es zu durchbrechen und andere Perspektiven einzunehmen.

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Miteinander kommunizieren und kooperieren, offen für Kritik sein und mit Stress umgehen können – das alles sind Fähigkeiten, die die GameChanger nicht nur auf dem Feld erleben und erlernen, sondern anschließend auch im Seminar-Raum erarbeiten. Denn nach der Reflexion – sowie Younis’ Vorstellung von Theorien und Methoden – werden Übungen erstellt, die die Teilnehmer:innen auch selbst bei ihren Tätigkeiten als Trainer:innen mit Kindern und Jugendlichen umsetzen können.

Zum Beispiel »Kommunikationskompetenz«. Ein Spiel – egal um welche Sportart es sich handelt – wird dabei in drei Spielabschnitte unterteilt. Im ersten darf nicht gesprochen, im zweiten darf gesprochen werden, und im dritten dürfen die Teilnehmenden selbst entscheiden, ob sie miteinander reden wollen oder nicht. Die Idee dahinter? »Eine Sensibilität für non-verbale Kommunikation zu schaffen«, erklärt Younis. Die Erfahrung zeigt, dass selbst bei verbaler Kommunikation Missverständnisse entstehen können. Zudem seien viele überrascht, wie stark die Kommunikation zwischen Menschen auf non-verbaler Ebene abläuft. »Man geht davon aus, dass es 93 Prozent sind«, so Younis.

Bei der Übung zur »Entscheidungskompetenz« führt Younis den »Dribbelbaum« an. Man hat mit Ball einen Weg abzulaufen, der vor dem Tor endet, aber mehrere Abzweigungen bereithält. Man kann an einem Punkt kommen, an dem man den Ball jonglieren muss, an einem anderen muss man ihn durch ein Hütchen spielen. Das Ziel sei es, bei drei Versuchen drei Tore zu erzielen. »Es ist immer wieder interessant, ob die Leute den richtigen Dribbelweg entsprechend ihren Fähigkeiten wählen. Selbsteinschätzung und -reflexion spielt hier eine wichtige Rolle«, erklärt Younis – was sich natürlich auch wieder auf das Leben übertragen lässt: »Wenn du Entscheidungen triffst, musst du sie auf der Grundlage deiner eigenen Fähigkeiten, deiner Ansprüche, deiner Ziele treffen.«

Reflexion in kleinerer Runde

Neben den zwei angesprochenen Kompetenzen werden auch Übungen zur Stressresistenz, Frustrationstoleranz, Kooperation, interkultureller Kompetenz, Zielorientierung und Kritikfähigkeit erarbeitet. Kompetenzen, die das Konzept »werteorientiertes Leadership« des 41Campus ausmachen. Und das kommt auch bei den GameChangern gut an. Basketballtrainer Johannes Ködel war zunächst überrascht: »Das ist keine typische Trainerausbildung, wie man sie halt so kennt: In der Halle, mit Konzepten und Übungen. Sondern das geht auf eine ganz andere Ebene, die Gefühlsebene.« Das war zunächst viel Neues für ihn, aber hat ihm viel gebracht: »Nach jedem Seminar hat mein Kopf gerattert auf der Heimfahrt, ich hab viel nachgedacht und auch viel verändert – nicht nur im Training, auch im privaten Bereich.« Für Handballtrainerin Laura Rehse hat sich durch die Ausbildung die Kommunikation verändert: »Ich gehe ganz anders mit meinen Spielerinnen um, auch mit den Eltern. Ich kommuniziere mit denen ganz anders.« Und bei den Modulen der Ausbildung lernt man zudem neue Menschen und neue Perspektiven kennen, wie Basketballer Luis Hißmann feststellt: »Die GameChanger-Ausbildung bietet einfach super viele Perspektiven, Perspektivwechsel, super viele interessante Menschen – sowohl Teilnehmer, als auch Referenten.«

Das im 41Campus Erlernte lässt sich auf alle Sportarten übertragen – durch ganz konkrete Übungen, aber vor allem anhand der erlernten Kompetenzen. Im Sport kann man viel vermitteln, was auch außerhalb der Spielfelder wichtig ist. Younis spricht dabei aus eigener Erfahrung: »Als junger Mensch, der vom Sudan nach Deutschland gekommen ist, habe ich durch Fußball viel gelernt, was man in der Schule gar nicht beigebracht bekommt – gerade was soziale Kompetenz betrifft. Und ich habe gemerkt, dass ich für jede Situation im Leben eine Analogie im Fußball finde.«

Younis Kamil ist diplomierter Sportwissenschaftler, Dozent an der Uni Brüssel sowie lizenzierter Fußballtrainer. Sein Schwerpunkt liegt in der Vermittlung von Soft Skills. Er ist Mitbegründer von YouMo!

 

___ von Manuel Baraniak.

Fotos © 41Campus